11.7. - 8.8.2021 · Was bleibt
Vernissage: Sonntag, 11. Juli 2021 um 11.15 Uhr, Zur Eröffnung sprechen Dr. Norbert Hilbig und Stefan Skowron (Aachen)
Finissage: 8. August, um 15.00 Uhr gibt es eine Klangimprovistion »punkte und momente« von Aaron Rosenow
Simone Rosenow ist am 8. August 2021 anwesend.
• In Rosenow’s Arbeiten, stehen Mal-, Zeichen-, Schreib- und Nähspuren nebeneinander oder bilden durchscheinende Schichtungen. Es ist ein Ringen um eine spannungsvolle, lebendige Korrespondenz zwischen Punkt, Linie, Fläche und Farbe. Von Rhythmus ist da die Rede, vom »Kritzeln als kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen dem Schreiben, dem Zeichnen und der Musik«, ein Zusammenklang, mitten im Geschehen der Bewegung festgehalten. Neben unberührten Papieren und Leinwänden verwendet sie auch Vorgefundenes. Vergilbte Buchseiten, Stoffe, Schullandkarten mit ihrer jeweiligen Geschichte und Abbildung werden übermalt, treten in den Hintergrund oder erleben durch Aussparung eine Betonung. Traumhafte Erinnerungsfetzen. Es geht ihr nicht darum Gesehenes ablesbar wiederzugeben, eher das Erlebte aus dem tiefen Inneren herauf zu holen, zu notieren wie in ein Tagebuch. Stefan Skowron beschreibt ihre Arbeiten so: »Kraft im Ruhigen, Musikalität in der Stille, Dichte im weiten Raum, Eleganz im schnellen Strich.«
Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Was bleibt“, Galerie im Stammelbach-Speicher, Hildesheim, 11. Juli bis 8. August 2021
Die VORAUSSETZUNG. Die Sprache für die Kunstbetrachtung ist bekanntlich eine, die nicht genuin ist. Sie ist entlehnt. Zusammengeklaubt. Sie entspricht unseren Worten für den Alltag, für die Musik, für die Architektur. Wir sprechen von Landschaften – Farblandschaften – und Tönen – Farbtönen – und Räumen – Farbräumen.
Wir betrachten Kompositionen, ohne dass wir sie hören könnten. Wir empfinden Klänge, sehen Rhythmen bis hin zum Staccato, aber die versetzen uns nicht in Bewegung. Oder das zumindest eher selten.
Wenn wir Bilder betrachten und dann darüber, was wir sehen, zu erkennen glauben, sprechen wollen, kann es also zugleich leicht und schwer sein, Worte zu finden. Die richtigen Worte. Denn es gilt, was Botho Strauß in seinem Buch „Oniritti Höhlenbilder“ schreibt:
„Die meisten Fehler, die wir beim Auffassen von Welt, von Leben, von uns selbst begehen, beruhen auf falschen Metaphern, falschen Vergleichen, falschem bildlichen Denken.“1
Das ist die Voraussetzung, unter der ich – vielleicht wir alle – die Betrachtung der Arbeiten von Simone Rosenow beginnen. Angesichts der Bilder suchen wir nach Worten, Vergleichen, anderen Bildern, nach Erinnerungen und Metaphern, nur um uns zu beschreiben, was auf den Bildern ist, was darin passiert und was die Bilder mit uns machen.
Das ERLEBEN. Der erste mir deutlich werdende Eindruck ist der von Geschwindigkeit. Nicht im Sinne einer irgendwie gerichteten Bewegung. [Auch nicht da, wo sich mal ein Pfeil zeigt.] Es ist weder ein Fortgehen noch ein Herkommen. Das was ich meine hat eher mit dem Tempo zu tun, das man körperlich spüren kann, wenn man sich in einen starken Wind stellt. Dann bewegt man selbst sich nicht doch man spürt, wie alles um einen herum unruhig ist, tobt.
Dieser Eindruck ist meine Beschreibung der Manier, wie Simone Rosenow im Ergebnis einer lange währenden Auseinandersetzung mit dem Medium die Farbe zu setzen vermag: als unvermittelt aufblühende, manchmal explodierende, sich auf großen Flächen und in kleinen Räumen behauptende, Felder. Farbfelder, deren Formen sich fortwährend zu verändern scheinen – was sie nicht tun, die sich über die Gevierte der verschiedenen Malgründe hinwegbewegen und diese immer wieder in neuen Formationen besetzen – was sie nicht können. Und die sich vor unseren Augen auflösen – was für eine gewöhnlichere – andere – Malerei suizidal wäre.
Nichts an diesen Bildern ist statisch, angelegt, nichts ist gebaut. Aufgebaut, wie man früher Bilder vom Grund her aufbaute, indem jede Ebene, jede Form zur Bedingung der ihr folgenden wurde. Trotzdem [er]scheint kein Farbfeld am falschen Platz. Sei dies auch noch so offen und fragil, so transparent wie irgend möglich gehalten; oder schiene schier zu zerfließen. Vergleiche mit landschaftlichen Formationen sind deshalb für mich wenig überzeugend. Am Ehesten noch bei einer Reihe kleiner Zeichnungen, den Präludien. Aber das liegt vornehmlich am Format. Doch eine Landschaft im Sinne eines kulturgeschaffenen Raumes, gar Architektur, ist in keiner der Malereien von Simone Rosenow unbewusst gezeigt noch absichtsvoll versteckt. Das wäre dann doch zu einfach, zu schnell erreichbar für die Malerin, denke ich. Und wäre zu kurz gedacht von mir.
Komplizierter, was meint für mich weniger deutlich identifizierbar war die Handhabung der Linie. Ich weiß, Simone Rosenow kann Kalligraphie. Das hat sie hier, in Hildesheim, gelernt, studiert. Aber es mag nach Intuition klingen, vielleicht sogar nach Zufall, wenn ich vor diesen Bildern einfach behauptete, keine Linie verirrt sich.
Ich spräche auch viel lieber vom Verstehen, wie die Dinge [in] der Welt funktionieren; wie sich Leben lebt. Zufälle sind ungeeignet, ein Ganzes zu schaffen, zu sein. Zufälle sind nur Teile, Teilchen im Ablauf des Lebens, von denen wir glauben wollen, sie seien lebensbestimmend, was sie aber nicht sein können. Das Leben ist bestimmt. Ein Zufall ändert nichts. Er macht es höchstens etwas salziger.
Wenn ich daher sage, keine Linie verirrt sich, will dies im übertragenen wie im wortwörtlichen Sinne verstanden sein.
Da gibt es die breiten, farbigen Linien, die oft eher unvermittelt aus den Malgründen treten und, mal raumgreifend, mal verdichtet, das Geviert besetzen, es einnehmen, beleben. Diese, aus der Hand laufenden, schon aus früheren Bildern bekannten und von mir geschätzten Linien sind sehr präsent. Und nicht sie sind es, die zu entschlüsseln kompliziert ist. Es sind die zarten, ganz leichten Linien, die sich in die Flächen und Felder und breiten Streifen aus Farbe einweben, die als Konturen mit vegetabiler Erinnerung, als Blätter und Kelche, über allem malerischen Geschehen zu schweben scheinen. Sie sind nur zu erkennen, wenn man den Bildern sehr [sehr] nahe kommt. Das ist wichtig. Denn in dem Sturm der Malerei, von dem ich anfangs sprach und den Simone Rosenow so überzeugend vorzustellen versteht, übernehmen diese feinen Lineaturen eine wichtige – erzählerische – Aufgabe. Diese Linien bringen Geschichten, Absichten und Ereignisse ins Bild, von denen wir Betrachter nichts ahnten, wenn wir nur im sicheren Abstand davor blieben und uns ihnen nicht auch – ein wenig – auslieferten.
Noch einmal Botho Strauß: „Der Grund allen Geschichtenerzählens ist die Vertreibung aus dem Paradies, das Erzählen kommt aus ursprünglichem Verlust. Wo kein verlorenes Paradies, wo kein goldenes Einst, dort kein Erzählen.“2 – Und kein Malen, möchte ich ergänzen.
Ich sagte, ich spräche lieber vom Verstehen, wie die Dinge [in] der Welt funktionieren; wie sich Leben lebt. Diese feinen Linien auf den Malereien von Simone Rosenow erzählen mehr noch als die darin auffindbaren Zitate genau davon.
Das ECHO. Was bleibt? Was hallt wider? Was geben diese Bilder uns Einzelnen, zurück? Nun nichts, was wir nicht selbst erlebt, nicht selbst gelebt und nicht selbst verloren hätten. Bilder wie sie Simone Rosenow malt, sind, bei allem autobiographischen Zutun der Künstlerin, mehr noch geeignet, ihrem Betrachter etwas über sich selbst zu entlocken.
Ein Bild zu interpretieren heißt, es mit den eigenen Erfahrungen zu spiegeln. Nur aus diesem Grund gefallen uns Bilder oder nicht. Mir gefallen die Bilder von Simone Rosenow.
Das bleibt.
Stefan Skowron
Potsdam und Hildesheim, im Juli 2021
1 Botho Strauß, Oniritti Höhlenbilder, Carl Hanser Verlag, München 2016, S. 24.
2 A.a.O., S. 101.